Eröffnungsrede Marko Schacher zur Ausstellung "Mies van der Rohe, Winston Churchill, Alfred Hitchcock"

„Irritierend" ist vielleicht der adäquateste Begriff für das Gefühl, dass Sie beim Betreten der fabelhaften Kunstwelt von Serge de Waha empfinden. Wer Comte de Lautréamonts berühmt gewordenen Satz „Schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch" und seine Aussage mag, wird vielleicht auch ein „Schön" vor sich hin murmeln.
In Serge de Wahas Material-Konglomeraten kommen Personen und Dinge zusammen, die noch nie zusammen gehört haben. Zum Beispiel die Fürst-Pückler-Eis-Schnitte mit Mies van der Rohes berühmten „Farnsworth House", hier vor Ort als Modell nachgebaut mit einem frühmorgens bei Kamps gestohlenen Brötchenkorb, zwei MDF-Platten und ein paar Schraubzwingen. Ein Berber-Teppich, ein Corbusier-Designstuhl, ein nepalesischer Hocker, eine Lampe, ein Mottenfänger und ein aus schwarzen Socken gelegtes Indianer-Portrait ergänzen sich zur Nicht-so-richtig-Wohlfühlecke, die den von Tobias Rehberger gestalteten Design-Oasen selbstbewusst den Mittelfinger zeigt.

Überhaupt scheinen es Serge de Waha die kunsthistorischen Verweise angetan zu haben. So wurden gelbe und rosa Putzlappen zur begehbaren Bodenskulptur vereint, die Carl Andres minimalistische Bodenskulpturen höchst unprätentiös – in Kombination und Konfrontation mit einer Fotoansicht des eigenen gekachelten Badezimmers – ins Hier und Jetzt hinüberholen. Barnett Newmans epochales Gemälde „Who's afraid of Red, Yellow and Blue" erfährt hier vor Ort seine zeitgemäße Auferstehung als rotlackierte Auto-Motorhaube mit gelben und blauen Rallye-Streifen. The Sublime is not now, sondern war gestern. Macho-Erhabenheit rules!
Ein Plexiglas-Kubus voller Wäsche lässt uns möglicherweise an Damien Hirst denken. Drei Dachrinnenblech-Reste werden in ihrer zufälligen Gestalt, so wie sie die Arbeiter vom Dach geschubst haben, lackiert und uns als John Chamberlainsche Stahlskulpturen präsentiert. Das berühmte Spargel-Bild von Edouard Manet aus dem Jahr 1880 erfährt seine Neugeburt als Leuchtkasten, der ein Bündel von hölzernen Bilderrahmenleisten zeigt.
Das „Rote Viereck" von Kasimir Malewitsch wird von seinem weißen Beiwerk befreit.
Die 50er-Jahre-Hochzeitsvase von Serge de Wahas Eltern wird zum gleichsam patenten wie potenten Gurkenständer. Ein vertikal an die Wand gelehnter Fahrradständer zur Donald Judd-Gedächtnis-Skulptur (mit praktischer Funktion). Auf dem Supermarkt-Wühltisch aufgespürte Fahrrad-Sattel sind zur Picasso-Hommage geworden. Und Audi heißt jetzt Andi. Herzlichen Glückwunsch! Und „Willkommen im Macho-Park!" Statt auf Atelierhüter zurückzugreifen, hat Serge de Waha so gut wie alle Exponate in den letzten drei Wochen erschaffen. Als Fundus haben Baumärkte und Sperrmüllsammlungen, das World Wide Web, vor allem aber die eigenen Gehirnwindungen gedient. Hier vor Ort ergänzen sich die Ausstellungsstücke zum Gesamtkunstwerk, zum „imaginären Museum" in der Tradition von André Malraux und Marcel Brodhaers, zum Raumexperiment mit offenem Ausgang. Einige der Exponate scheinen sich noch in der Metamorphose zum entgültigen Präsentationszustand zu befinden. Andere haben diesen vielleicht schon überschritten.
Der Künstler präsentiert uns hier individuelle Mythologien, dreidimensionale Wimmelbilder für Kunstfans – mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit einem ernsten Ansatz. Die Exponate scheinen uns zum Hinterfragen der Kunst-Aura aufzufordern und unseren Blick auf die vermeintlichen Nebensächlichkeiten des Alltags zu lenken – wie übrigens auch die Fotografien von Daniela Wolf, einen Stock tiefer.
Ein Boxsack als Verweis auf Churchills Durchbox-Willen? Warum nicht? Serge de Waha ist Weltmeister im Assoziationsketten-Knüpfen. Von Superman und Batman zu Barnett Newman sind es im realen Leben schon so einige Ecken, hier vor Ort auf den als hierarchieloses Allover präsentierten Zeichnungen von Serge de Waha aber nur wenige Zentimeter. Einzelne Ideen-Fetzen wie „Hitchcocktail für eine Leiche" oder „Bitte keine Probleme" werden aus dem Gedankenfluss herausgefischt und uns als Beute mehr oder weniger stolz vorgesetzt.
Bleibt die Frage, was die Herren Mies van der Rohe, Winston Churchill und Alfred Hitchcock verbindet. Insider wissen es längst. Alle drei waren leidenschaftliche Zigarren-Raucher. Quasi als Stellvertreter präsentiert uns der Künstler gleich im Eingangsbereich drei stramm stehende Zigarren. Sigmund Freud hätte daran große Freude gehabt, wie überhaupt in der gesamten Ausstellung von Serge de Waha. Sich in diesem dichten Déjà-Vu-Dschungel zurecht zu finden, ist alles andere als einfach. Nebenpfade, falsche Fährten und Widersprüche verhindern ein zielgerichtetes Vorankommen. Aber auch hier gilt: Der Weg ist das Ziel. Serge de Wahas Werke dehnen unsere Gedankengänge und sorgen vielleicht dafür, dass wir den alltäglichen Wahnsinn vor unserer Haustür und in unseren Museen wohlbehalten überstehen.


Marko Schacher 2010